Liebe Dr. Karella Easwaran, auf Basis neurowissenschaftlicher Erkenntnisse haben Sie das Konzept des „Beneficial Thinking“ entwickelt. Wie würden Sie es in wenigen Worten erklären?

„Beneficial Thinking“ ist eine wissenschaftlich fundierte Methode, die verständlich erklärt, wie Gedanken, Gefühle und Reaktionen im Gehirn entstehen – und wie wir sie aktiv beeinflussen können, um ein ausgeglichenes, glückliches und gesundes Leben zu führen. Mit „Beneficial Thinking“ können wir lernen, unsere Gedanken so zu lenken, dass sie uns stärken – statt schwächen.

Sie beschreiben ein „Beneficial Thinking“-Haus. Wer wohnt darin – und wo?

Das „Beneficial Thinking“-Haus ist eine Metapher für unser Gehirn. Im Keller wohnen das Krokodil (Stress) und die Taube (Ruhe). Im Erdgeschoss leben Amy (Angst), das Seepferdchen (Gedächtnis) und die Glücksfee (Glück). Ganz oben im Dachgeschoss sitzt der Roboter – unser Denk-Hirn, das plant, entscheidet und uns bewusst durchs Leben steuert.

Welche Säulen tragen dieses Haus, bzw. welche Grundpfeiler sind für ein gesundes, positives Denken entscheidend?

Getragen wird das „Beneficial Thinking“-Haus von Tugenden wie Zuverlässigkeit, Fleiß, Großzügigkeit, Aufmerksamkeit, Dankbarkeit, Mut und Achtsamkeit. Sie sind die Grundpfeiler für stabiles Denken und inneres Gleichgewicht. Gerät eine dieser Säulen ins Wanken, wirkt sich das sofort auf unser Wohlbefinden aus – deshalb gilt es, sie bewusst zu stärken.

Sie bezeichnen Sinnesorgane als „Tore zur Welt“. Wie wirken die Sinne auf unser Wohlbefinden?

Die Sinnesorgane tragen alle Informationen der Außenwelt ins Gehirn, um unser Überleben zu sichern. Darüber hinaus prägen sie Wohlbefinden, Freude und Emotionen.

Welche Effekte hat Sport auf unser Gehirn und unsere mentale Stärke?

Bewegung und Sport sind wahres Gehirn-Training: Glücksbotenstoffe werden freigesetzt, Stress reduziert sowie Konzentration, Lernfähigkeit und Resilienz gefördert. Selbst ein Spaziergang ist schon viel Wert.

Warum ist Schlaf so wichtig für unsere kognitive Leistungsfähigkeit und emotionale Balance?

Schlaf reinigt und räumt das „Beneficial Thinking“-Haus auf, er ordnet Erinnerungen, stabilisiert Gefühle und stärkt unsere mentale Kraft. So ist der Roboter am nächsten Tag einsatzbereit – und das Krokodil bleibt ruhig.

Welches „Brain-Food“ empfehlen Sie, um unseren Verstand zu schärfen?

Echte Brain-Foods sind Nüsse, Beeren, grünes Gemüse und Omega-3-Fettsäuren. Ebenso wichtig: genug trinken – denn ohne Flüssigkeit kann das Gehirn nicht optimal arbeiten.

Wie entsteht Glück im Gehirn?

Glück entsteht im Gehirn, wenn Botenstoffe wie Dopamin, Serotonin, Oxytocin und Endorphine fließen. Dann ist die Glücksfee aktiv – sie schenkt uns Freude, Verbundenheit und innere Stärke.

Im Buch finden sich zahlreiche „Beneficial Thinking“-Übungen. Können Sie uns drei konkrete Beispiele nennen?

Gerne:

  1. Zunächst ein Gedanken-Experiment: belastende Gedanken ins Gegenteil drehen, um neue Perspektiven zu gewinnen.

  2. Oder eine Mini-Meditation der Sinne: für eine Minute bewusst hören, riechen oder sehen – das beruhigt sofort.

  3. Sehr wirksam ist auch ein Zukunftsbild: eine schwierige Situation mit dem bestmöglichen Ausgang vorstellen, damit das Gehirn dieses positive Drehbuch speichert.

10.Ist „Beneficial Thinking“ denn für alle Zielgruppen praktikabel – von Kindern über Berufstätige bis hin zu Senior:innen?

Das Gehirn funktioniert bei allen gleich – nur die Herausforderungen unterscheiden sich. Mit altersgerechten Beispielen ist „Beneficial Thinking“ ab dem Schulalter ebenso praktikabel wie für Berufstätige oder Senior:innen.

Können auch Unternehmen und Organisationen davon profitieren?

Ja, unbedingt – „Beneficial Thinking“ stärkt Teamgeist, Motivation und Resilienz und verbessert so das Miteinander in Unternehmen und Organisationen nachhaltig.

Welche Bedeutung hat Ihre Kindheit in Äthiopien für die Entstehung von „Beneficial Thinking“?

Meine Kindheit in Äthiopien war von Unsicherheit , Umbrüchen und Vielfalt geprägt. Sie hat mir gezeigt, wie sehr wir als Menschen und als Gesellschaft innere Stärke, Gemeinschaft und Zuversicht brauchen. Aus dieser Erfahrung ist „Beneficial Thinking“ entstanden.

Wie sieht ein typischer Tag in Ihrem Leben aus, an dem Sie selbst „Beneficial Thinking“ bewusst anwenden?

„Beneficial Thinking“ ist Teil meines Alltags geworden. Ich starte dankbar in den Tag, nehme Herausforderungen an und suche Lösungen. Dabei denke ich an die Säulen meines Hauses, übe Respekt und Dankbarkeit, halte mein Krokodil möglichst ruhig und lasse Roboter und Glücksfee wirken. Es gelingt nicht immer perfekt – aber immer öfter.

Welche Übungen könnten unsere Leser:innen direkt nach diesem Interview ausprobieren?

Eine meiner Lieblingsübungen ist die Oktav-Atmung: achtmal tief ein- und ausatmen, rund 90 Sekunden – wirkt wie eine sofortige innere Beruhigung. Eine zweite Übung ist rückwärts zählen ab 20: spätestens bei 15 muss ich lachen, weil ich durcheinanderkomme – und schon ist das Krokodil wieder ruhig.

Und wie merke ich, dass „Beneficial Thinking“ wirkt?

Viele spüren schon nach den ersten Übungen eine Entlastung, weil sie merken: „Ich kann meine Gedanken steuern.“ Nach etwa drei Monaten regelmäßiger Praxis entwickelt sich daraus eine spürbare innere Haltung – und „Beneficial Thinking“ beginnt, den Alltag nachhaltig zu verändern.

Vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre inspirierenden Einsichten, liebe Frau Dr. Easwaran!