Lieber Gregor, warum heißt Dein Buch „Wir, aber besser“?
Wir haben uns zu sehr angewöhnt, neue Technologien wie eine Naturkatastrophe zu betrachten, mit der wir uns irgendwie abfinden müssen – nicht wie neue Werkzeuge und Infrastrukturen, die wir selbst gestalten können. Aber das können wir. Wenn wir die KI-Revolution meistern, dann verlieren wir unsere Menschlichkeit nicht, sondern wir stärken sie. Wir sind immer noch wir, nur eben etwas besser.
Wer sollte Dein Buch lesen?
Jeder, der die Zukunft schon heute verstehen will – und sich am besten sogar darauf freut.
Was ist „generative Künstliche Intelligenz (KI)“ und warum erzeugt sie einen weltweit spürbaren Umbruch?
Generative KI (GenAI) ist eine Art von KI, die – anders als frühere Systeme – neue Inhalte erstellen kann, die oft kaum von menschengemachten Inhalten zu unterscheiden sind. Das funktioniert aber nur, weil sie auf menschlichen Daten basieren. Diese Daten haben schon lange existiert – aber seit einigen Jahren ist es endlich möglich geworden, all die menschliche Kreativität und Wissensdatenbanken in einfacher Form abrufbar zu machen. Das ist generative KI: Schreiben mit einer Synthese der Menschheit. Kein Wunder, dass das so beeindruckend ist.
Was dürfen wir in dieser KI-Revolution nicht vergessen?
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir der entscheidende Faktor sind. Die OpenAI-Chefetage kannte ihre Technologie in- und auswendig, trotzdem waren sie vom Erfolg von ChatGPT komplett überrascht. Die Revolution begann erst, als Laien und Kreative das Werkzeug in die Hand bekamen. Das bedeutet auch: Wir dürfen das Steuer nicht aus der Hand geben. Wir müssen diese Technologie aktiv formen, bevor sie uns formt.
In Deinem Buch bezeichnest Du KI als „Universalgelehrten“ – welche Möglichkeiten siehst Du hier insbesondere für Schüler und Studenten?
KI bietet viele Chancen: unter anderem die, passiven Internetkonsum durch aktives Lernen zu ersetzen. Das Internet versprach uns Wissen, aber lieferte uns stattdessen jede Menge Ablenkung. KI-Chatbots hingegen ermöglichen eine Rückkehr zur „sokratischen Methode“: Lernen durch Dialog, durch Nachfragen, durch Diskutieren. Man kann die KI bitten, etwas anders zu erklären, wenn man es nicht verstanden hat – eine Flexibilität, die ein Sachbuch oder ein Telekolleg niemals bieten kann.
Und warum sind KI-Chatbots eine Errungenschaft für Senioren?
KI-Chatbots lösen das Versprechen der digitalen Teilhabe ein. Richtig eingesetzt können auch diejenigen, die keine Digital Natives sind, viel leichter und besser auf die Möglichkeiten des Internets zugreifen – weil das Internet endlich ihre Sprache spricht. In einer Zeit, in der immer mehr Dienstleistungen allein aus Kostengründen in die digitale Welt verlagert werden müssen, bieten Chatbots einen niederschwelligen Zugang zu einer sonst oft feindseligen digitalen Welt.
Warum könnte KI sogar für den Erhalt des Wohlstands in Deutschland sorgen?
Anders als bei früheren Technologiewellen wie Social Media, bei denen die Wertschöpfung fast ausschließlich in den USA und China landete, könnte KI eher ein „Rohstoff“ wie Elektrizität sein. Der größte Wert entsteht nicht dort, wo die KI (der „Strom“) herkommt, sondern dort, wo sie intelligent angewendet wird – in der „Fabrik“, also auch im deutschen Mittelstand. Und diese Chance müssen wir dringend ergreifen – besonders, da der demografische Wandel unseren Wohlstand und unsere Wirtschaft mittlerweile unmittelbar bedroht.
Aber was bedeutet der Einsatz von KI für Unternehmen? Werden bald ganze Abteilungen ausgedünnt, weil man ja nun den neuen Kollegen „KI“ im Team hat?
Kleine Teams werden bald deutlich mehr schultern können, das ist klar. Die Geschichte zeigt zwar, dass die Angst vor breiter Arbeitslosigkeit durch Technologie wenig begründet ist. Trotzdem ändern sich Jobs natürlich. So war es um 1980 mit der Einführung von „VisiCalc“, einem Vorgänger von Microsoft Excel: Als der eingeführt wurde, fürchteten Buchhalter um ihre Jobs. Doch die Software hat sie nicht ersetzt, sondern effizienter gemacht. Dadurch stieg die Nachfrage nach komplexerer Buchhaltung, und heute herrscht dort Fachkräftemangel.
Inwiefern haben auch Kriminelle durch KI generierte neuen Möglichkeiten?
KI ist „für alle“ da – und das schließt Kriminelle natürlich mit ein. Die alte „Hallo Papa, neue Nummer“-SMS ist plump. Ein KI-Agent kann jetzt das Internet nach Informationen über sein Opfer durchsuchen, den Namen des Chefs und aktueller Projekte herausfinden und dann eine hochgradig personalisierte Phishing-Mail schreiben. Und das Ganze automatisiert, tausendfach auf einmal. Dagegen braucht es technische Abwehrmaßnahmen – aber auch ein breites Bewusstsein in der Gesellschaft. Das erlangt man am besten, indem man die Technologie selbst nutzt – und dadurch mehr darüber lernt, wie sie funktioniert.
Wo siehst Du die größte Gefahr im Umgang mit KI?
Eine unmittelbare Gefahr ist der Kontrollverlust, wie wir ihn bereits durch die Empfehlungsalgorithmen auf Social Media erlebt haben. Diese werden auf „Engagement“ optimiert – sie zeigen uns nicht, was uns hilft, sondern was uns festhält: Polarisierung, Fake News und Sucht. Wenn generative KI nun nicht nur Inhalte kuratiert, sondern sie auch noch algorithmisch erstellt, um uns perfekt zu manipulieren, droht eine noch toxischere Version des Internets.
Glaubst Du denn, dass KI die Moral des Menschen verbessert oder eher stört?
Wenn wir sie richtig und bewusst einsetzen, kann KI uns helfen, aus unseren Köpfen auszubrechen und „Filterblasen“ zu lösen. Chatbots sind unendlich geduldige Dialogpartner. Wir können ihn bitten, uns die Argumente der Gegenseite zu erklären, ohne dass er uns verurteilt. Das ist natürlich kein Ersatz für ein echtes menschliches Gespräch auf Augenhöhe, aber es ist in den meisten Fällen besser als die Alternative im Netz: Das Geschrei auf Social Media.
Du schreibst: „KI-Systeme werden auf Dauer nicht unpolitisch bleiben können.“ – Auf was sollten wir uns einstellen?
Es könnte einen Kulturkampf der KI-Systeme geben. In den USA wird jetzt schon politischer Druck auf die Betreiber von Chatbots ausgeübt. Gleichzeitig verbreiten chinesische Modelle wie DeepSeek klar die Ideologie der Kommunistischen Partei. Gerade deshalb ist es für uns in Europa so wichtig, Alternativen anbieten zu können.
Wie müsste die EU sinnvoller Weise die KI-Entwicklung begleiten?
Wir müssen konkurrieren können. Ein Europa, das die wichtigste Technologie der Gegenwart einfach outsourct, ist ein verwundbares Europa. Passives Zuschauen, Abblocken und Regulieren ist einfach nicht genug.
Und last but not least: Was macht Dir persönlich Hoffnung im Umgang mit KI?
Paradoxerweise macht uns KI menschlicher, indem sie uns zwingt, uns von ihr abzugrenzen. KI ist exzellent in "Maschinensprache" – dem generischen, unpersönlichen Stil von Pressemitteilungen oder Behördendeutsch. Um nicht ersetzt zu werden, müssen Menschen das Gegenteil liefern: Menschlicher, persönlicher, individueller sein als je zuvor.

